Staatsministerin Priska Hinz zeichnete in einer Feierstunde am 25.10.21 in Wiesbaden Dr. Hartmut Spieß vom Dottenfelderhof in Bad Vilbel mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland aus.
In ihrer Ansprache würdigte sie seine jahrzehntelange Pionierarbeit:
„Herr Dr. Spieß hat sich im hohem Maß über Jahrzehnte hinweg und mit großem persönlichen Engagement für den ökologischen Landbau, insbesondere im Bereich Saatgutgesundheit und -züchtung eingesetzt“, betonte Hinz. Die Forschung & Züchtung Dottenfelderhof (FZD), die Herr Dr. Spieß seit 1977 leitet, zählt zu den führenden ökologischen Getreide- und Gemüsezuchtinitiativen im deutschsprachigen Raum. Besonders zukunftsweisend ist dabei die praxisnahe Herangehensweise in Kooperation mit anderen Betrieben und Universitäten und auch die sehr gute Zusammenarbeit mit dem Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH).“
Hartmut Spieß ist ein Pionier der Forschung im ökologischen Landbau. Trotz scharfem Gegenwind hat er stets, seinem Ideal folgend, Neuland in Forschung und Züchtung für den ökologischen Landbau betreten und so Grundlagen für Gegenwart und Zukunft einer nachhaltigen Landwirtschaft geschaffen. Bedeutende Beiträge hat er u. a. auf den Gebieten der biologisch-dynamischen Forschung, der Bodenfruchtbarkeits- und Düngungsforschung, Pflanzen- und Saatgutgesundheit sowie der Züchtungsforschung geleistet.
Die Forschungstätigkeit von Hartmut Spieß verbindet auf einzigartige Art und Weise wissenschaftliche Grundlagenforschung mit der landwirtschaftlichen Praxis. Der überwiegende Teil seiner Forschungsarbeiten wurden unter Praxis-Bedingungen auf landwirtschaftlichen Betrieben durchgeführt. Von 1977-2020 leitete Spieß Forschungsgruppen auf dem Dottenfelderhof – einem bio-dynamischen Landwirtschaftsbetrieb in Bad Vilbel, der die Landbauschule Dottenfelderhof e.V. beheimatet.
Spieß hat eine Reihe bedeutender Beiträge zur Erforschung der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise geleistet. Im Rahmen von Langzeitversuchen am Institut für biologisch-dynamische Forschung in Darmstadt widmete sich Spieß den streng wissenschaftlichen Untersuchungen biologisch-dynamischer Methoden zur Düngung und Unkrautregulierung. Mit seinen Untersuchungen zur Rhythmenforschung hat Spieß die erste Habilitationsschrift über ein biologisch-dynamisches Thema vorgelegt und damit den Weg für eine breitere wissenschaftliche Anerkennung der biologisch-dynamischen Forschung geebnet.
Ein Schwerpunkt der Forschungstätigkeit von Dr. Hartmut Spieß bildet die Pflanzen- und Saatgutgesundheit. Ein wichtiges Problem im ökologischen Landbau ist das Auftreten saatgutbürtiger Getreide-Krankheiten wie Steinbrand, Zwergsteinbrand oder Flugbrand. In der konventionellen Landwirtschaft kann das Saatgut gegen diese Krankheiten mit chemischen Beizmitteln behandelt werden. Diese sind im Öko-Landbau jedoch nicht zugelassen. Zu den Beiträgen von Spieß zur Saatgutgesundheitsforschung gehört die Entwicklung des Pflanzenstärkungsmittels Tillecur im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Dr. Schaette AG. Tillecur wird auf Senfmehlbasis gewonnen und wirkt vorbeugend gegen Steinbrand. Zudem hat Spieß ein Programm zur systematischen Evaluierung von Getreide-Sorten auf ihre Anfälligkeit gegen Steinbrand und Flugbrand aufgebaut. In Zusammenarbeit mit dem Julius Kühn-Institut in Darmstadt und dem FiBL Deutschland hat Spieß einen umfassenden Maßnahmenkatalog mit Strategien zur Steinbrandbekämpfung erarbeitet.
Seit Ende der 90er Jahre hat sich der Schwerpunkt der Forschungsaktivitäten von Hartmut Spieß und seiner Mitarbeiter*innen auf dem Dottenfelderhof zunehmend in Richtung Züchtungsforschung verlagert. Früh hat Spieß die Notwendigkeit und Bedeutung einer professionellen und eigenständigen ökologischen Saatgutzüchtung erkannt. Im Ökolandbau wird bis heute häufig auf konventionell gezüchtete Getreide- und Gemüsesorten zurückgegriffen. Da diese Sorten jedoch nicht für die spezifischen Bedingungen und Bedürfnisse der ökologischen Landwirtschaft zugeschnitten sind, ist ihr Anbau mit einer Reihe von Nachteilen verbunden. Neben der fehlenden Unkraut-Konkurrenz stellt insbesondere auch die hohe Anfälligkeit konventionell gezüchteter Getreide-Sorten gegen saatgutbürtige Krankheiten ein großes Problem für den ökologischen Landbau dar. Spieß und seine Gruppe auf dem Dottenfelderhof haben erstmals neue, ökologisch gezüchtete Weizen-Sorten mit Steinbrand- und Flugbrandresistenz und gleichzeitig ausgezeichneten Backqualitätseigenschaften entwickelt.
Zudem werden von der Forschung & Züchtung Dottenfelderhof (FZD) züchterische Strategien zur Anpassung der Landwirtschaft an Auswirkungen des Klimawandels entwickelt. Ein besonders interessanter Ansatz ist die Züchtung heterogener Getreide-Populationen, die aus einer breiten Vielfalt unterschiedlicher Pflanzentypen bestehen und deshalb Witterungsextreme besser abpuffern können und stabilere Erträge und Qualitäten als herkömmliche Sorten liefern.
Heute gehörte die FZD zu den führenden ökologischen Getreide- und Gemüsezüchtungsinitiativen. Aus der Züchtungsarbeit der FZD sind u. a. die vom Bundessortenamt zugelassenen Winterweizen-Sorten Butaro, Aristaro, Graziaro und Thomaro, die Winterweizen-Populationen Brandex und Liocharls, die Sommerweizen Heliaro und Saludo, der Winterroggen Firmament sowie die Mais-Population Almito hervorgegangen. Im Bereich der Gemüsezüchtung wurden neue Rosenkohl-, Tomaten- und Zuckermaissorten gezüchtet.
2018 wurde dem Dottenfelderhof aufgrund seines großen Engagements für die „on farm Forschung“ und wertvoller Ergebnisse in der ökologischen Züchtungs- und Pflanzenbauforschung Preisträger des Bundeswettbewerbs Ökologischer Landbau
Die FZD zählt heute zehn Mitarbeiter*innen, die Hartmut Spieß‘ Lebenswerk in den nächsten Jahren und Jahrzehnten engagiert in die Zukunft tragen werden.